
ISBN: 3-00-009127-0
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Wer ist das Schwein? (Teil I)
Am Freitagnachmittag werden ein Ochse, eine Kuh und ein Ferkel zum
Schlachthof gebracht. Sie müssen bis Sonntag warten, weil am Sonntag
eine große Lieferung mit Schweinen kommen wird. Der Tierarzt wird
dann für die Lebendbeschauung und Notschlachtung da sein. Der
Cheftierarzt macht am Sonntag gerne Dienst. Das ist für ihn eine
gute Gelegenheit von Zuhause abzuhauen, um im Schlachthof zu saufen.
Zu Hause kann er nicht saufen, weil er Angst vor seiner Frau hat. Im
Schlachthof findet er Gesellschaft und er braucht für den Alkohol
nichts zu bezahlen. Sonntag früh wird ein Pferd gebracht. Seine
beiden Beine sind bei einem riskanten Sprung gebrochen. Es hat
starke Schmerzen, denn es hat keine Schmerzmittel bekommen. Die Kuh,
der Ochse und das Ferkel haben von Freitagnachmittag bis Sonntag
weder Futter noch Wasser bekommen. Sie sind sehr durstig und haben
Hunger. Es ist seltsam ruhig im Stall, und eine schwere, drückende
Stille liegt über allem. Nur ab und an hört man ein Rascheln und
irgendwo schlägt gerade eine Tür zu, als der Ochse sagt:
Ochse:
„Lasst uns miteinander sprechen, so dass wir unser Leid ein bisschen
vergessen können“.
Kuh:
„Warum machen die Menschen das mit uns? Warum geben sie uns weder
Futter noch Wasser? Warum halten sie sich nicht an die Vorschriften?
Warum machen die Tierschützer keine Kontrolle?“
Ochse:
„Heute ist Sonntag, gestern war Sonnabend und beide Tage sind
Ruhetage. An Ruhetagen haben die Tierschützer keinen Dienst und sie
machen andere schöne Sachen. Tierschützer sind doch nur für Hunde
und Katzen und so, außerdem sind sie gegen die Macht des Geldes
wehrlos“.
Katze lacht:
„Ha, ha, ha, die Tierschützer helfen uns? Ha, ha, ha. Die wollen uns
kastrieren, unsere Natur verändern und die schönste Sache in unserem
Leben vermeiden. Was für ein tolles Gefühl ist es, wenn ich rollig
bin und Hunderte von Katern hinter mir her sind. Ich kann mir
aussuchen, mit welchen Katern ich mich paaren möchte. Es ist ein
sehr schönes Gefühl für die Katzen dominant zu sein. Die Kater
spielen in unserem Leben nur eine Nebenrolle. Sie sind nur zur
Paarung da. Aber wir sorgen für Nachwuchs und erziehen ihn.
Katze voller stolz:
„Wir sind Lebenskünstler. Wir sind die große Schule.“
Ochse sagt:
„Aber es gibt zu viele Katzen.“
Katze:
„Es gibt bessere Methoden. Zum Beispiel die Pille, und nur alle drei
Jahre bekommen wir Nachwuchs.“
Kuh:
„Die Bauern geben doch kein Geld für die Katzen aus und die Pille
ist teuer. Die Bauern wollen nur, dass Katzen die Mäuse und Ratten
fangen, dafür bekommen sie mal eine kleine Schüssel Milch und wenn
die Katzen krank werden, helfen sie ihnen nicht. Sie lassen sie
einfach sterben.“
Ochse:
„Das heißt, die Bauern sind das Problem und nicht die Katzen. Ich
glaube, es ist besser für die Menschen, wenn sie von den Katzen
lernen.“
Katze:
„Danke! Doch der Mensch ist neidisch auf uns, weil wir uns verstehen
und respektieren. Die Frau, mit der ich gelebt habe, wollte mich
kastrieren. Ich dachte, sie wäre eine gute Freundin für mich. Ich
habe sie als große Katze gesehen. Und was wollte sie? Mich
kastrieren. Es war unglaublich! Sie sperrte mich in einen kleinen
Käfig und brachte mich zu einem Tierarzt. Sie sagte zu ihm, sie
würde es nicht mehr aushalten, wenn ich rollig wäre, ich würde
schreien, auf die Blumen springen und alles kaputt machen. Ich
wollte nur raus zu den Katern, die sich draußen sammelten und ihre
Duftmarken setzten. Die Frau erzählte, es würde stinken wie die Pest
und dass sie mich deshalb, sobald wie möglich, kastrieren lassen
wolle. Der Tierarzt hat sich gefreut. Hat er Komplexe, oder was?“
Ochse:
„Er hat sich über das Geld gefreut.“
Katze erbost:
„Und ich dachte, die Tierärzte helfen uns.“
Ochse:
„Manche ja.“
Katze:
„Kannst du dir vorstellen, was diese Frau jede Nacht macht? Es kommt
ein Mann nach dem anderen. Sie ist das ganze Jahr rollig. Ich aber
nur zweimal im Jahr. Darum habe ich gedacht, sie hätte Verständnis
für mich.“
Ochse:
„Der Mensch hat nur Verständnis für sich selbst, aber auf die
anderen ist er neidisch. Das Leben mit den Menschen ist scheiße,
man.“
Ferkel:
„Ich habe Hunger, ich möchte trinken und ich habe Angst!“
Katze zum Ochsen:
„Hast du mich richtig verstanden?“
Ochse:
„Natürlich“, antwortet der Ochse.
Katze:
„Ich habe gedacht du würdest mich nicht verstehen, weil du ein Ochse
bist. Ha, ha, ha.“
Ochse:
„Du bist frech.“
Kuh mahnend:
„Bitte habe Respekt. Er ist unschuldig. Der Mensch hat ihn kastriert
und sie haben aus ihm einen Ochsen gemacht. Sicher wäre er ein sehr
toller Bulle geworden!“
Ochse:
„Das Leben mit den Menschen ist scheiße, Mann.“
Kuh:
„Der arme Ochse musste sich sein ganzes Leben lang mästen und endlos
langweilen, ohne Spaß und nun wird er geschlachtet.“
Ochse:
„Ich freue mich auf den Tod. Das Leben mit den Menschen ist schei
...“
Kuh unterbricht ihn:
„Jedes Wochenende wird er hierher gebracht, aber kein Metzger möchte
ihn kaufen, weil er sehr alt ist und sein Fleisch schwer zu
verkaufen ist. Sein Fleisch ist nur noch gut für Hundefutter und
deshalb muss er warten, bis ein Tierfutterhändler ihn kauft und
schlachtet.“
Ochse:
„Es ist mir scheißegal, ob sie mein Fleisch den Hunden oder den
Menschen geben. Hauptsache ich sterbe. Das Warten auf den Tod ist
schlimmer als der Tod selbst. Der Tod wird mich von dem Leid und den
Schmerzen befreien. Das Leben mit den Menschen ist scheiße, Mann.“
Ferkel weinend:
„Ich habe Angst vor dem Tod, ich möchte leben. Ich will zu meiner
Mutter.“
Ochse zur Katze: „Wie geht deine Geschichte weiter?“
Fortsetzung folgt
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